Was ist passiert?
In Bayern haben drei Männer geklagt, die in ihrem bayrischen Abiturzeugnis aus dem Jahr 2010 einen Eintrag stehen hatten, dass die Rechtschreibleistungen bei ihrem Abitur auf Grund von LRS nicht bewertet wurden. Sie klagten auf Löschung des Eintrags.
Das Bundesverfassungsgericht hat ihnen im November 2023 Recht gegeben.
Was ist der Hintergrund?
Bayern tut sehr viel für Schüler:innen mit Lese- und Rechtschreibstörung. Während der ganzen Schulzeit und auch in Prüfungen – auch im Abitur – werden Aufgaben für LRS-Betroffene anders gestellt und anders bewertet. Da die Noten und Prüfungsergebnisse auf anderem Wege zustande gekommen sind als die der übrigen Schüler, steht ein Hinweis dazu im Zeugnis.
Die unterschiedliche Bewertung der Abiturleistungen wurde damals in Bayern auch anderen Schülern mit anderen Beeinträchtigungen gewährt. Nur wurde bei ihnen kein Vermerk im Abiturzeugnis gemacht.
Das sei aus Gründen der Vergleichbarkeit nicht gerecht, urteilten die Richter. Sie entschieden, dass der Vermerk aus den Abiturzeugnissen der drei Männer zu löschen ist.
Die Verfassungsrichter wiesen aber darauf hin, dass ein Eintrag ins Abiturzeugnis grundsätzlich korrekt ist, wenn die Leistungen anders bewertet wurden.
Nur muss er dann auch bei allen erfolgen, die eine abweichende Beurteilung ihrer Leistungen erfahren – also nicht nur bei Legasthenikern, sondern zum Beispiel auch bei Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung, einer Seh- oder Hörbehinderung, ADS/ADHS usw.
Wie ist das in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz?
In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist die Rechtslage anders. Hier werden im Abitur für alle die gleichen Aufgaben gestellt und sie werden auch gleich bewertet. Deshalb steht hier auch kein LRS-Vermerk im Abiturzeugnis.
Ein „Nachteilsausgleich“ für Legastheniker im Abitur ist in Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz trotzdem möglich. Das bedeutet entweder etwas mehr Zeit oder die Erlaubnis, einen PC zum Tippen zu verwenden (ohne Rechtschreibkorrektur). Aufgabenstellung und Bewertung sind jedoch genau gleich wie bei allen anderen.
In den Jahrgangszeugnissen kann auch in Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz ein LRS-Vermerk stehen. Das ist immer nur dann Fall, wenn für die LRS-Kinder andere Aufgaben gestellt werden oder die Aufgaben anders bewertet werden.
Ziel dieses „Notenschutzes“ ist es, die Kinder oder Jugendlichen vor schlimmen Misserfolgen zu bewahren.
Was bedeutet das Urteil für unsere Kinder und Jugendlichen?
Aufgrund der anderen Rechtslage für Legastheniker in Bayern hat das Urteil für unsere Kinder und Jugendlichen keine Bedeutung.
Sehr interessant ist jedoch, dass das Bundesverfassungsgericht die LRS in seinem Urteil ganz klar als Behinderung bezeichnet hat. Wenn Legasthenie als Behinderung im Sinne des Grundgesetzes anerkannt wird, könnte das in ganz Deutschland wichtige Entwicklungen anstoßen, die die Rechte unserer Kinder in Zukunft deutlich stärken könnten.
Und noch etwas Gutes hat das Urteil gebracht: Es hat das Bewusstsein der Öffentlichkeit für das Thema Legasthenie geweckt. Auf jeden Fall machen sich jetzt mehr Menschen Gedanken darüber.
Wer weiß, was das noch bringt?